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CityWave in Mailand: Ingenieurtechnische Maßarbeit in urbaner Dimension


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Mit dem Projekt CityWave in Mailand wird die Transformation des ehemaligen Messegeländes in Mailands Stadtteil CityLife auf spektakuläre Weise vollendet. Das architektonische Konzept stammt von der Bjarke Ingels Group (BIG), die komplexe Umsetzung der Tragwerks- und Bautechnik liegt in den Händen des Südtiroler Ingenieurbüros HB. Zwei Gebäude – das höhere RD mit 105 Metern und 20 Geschossen sowie das kleinere RE mit 55 Metern und 10 Geschossen – bilden gemeinsam ein Ensemble, das durch eine 135 Meter weit gespannte, doppelt gekrümmte Dachstruktur verbunden ist: das Canopy.

Dieses markante Element prägt nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern stellt auch in statischer und konstruktiver Hinsicht das Herzstück des gesamten Projekts dar. Die schwebende Welle überspannt einen öffentlichen Raum und ist ein Meilenstein ingenieurtechnischer Planung. Ihr Tragwerk basiert auf einem vorgespannten Kabelsystem, das an den Dächern der beiden Gebäude verankert ist. Darauf liegt ein Traggerüst aus fünf Lagen Brettsperrholz (CLT), das eine Fläche von 4.500 Quadratmetern abdeckt und zugleich Leichtigkeit und Steifigkeit vereint.

Tragwerkskonzept und Gründung

Die Fundamente beider Gebäude bestehen aus Stahlbetonplatten, ergänzt durch Pfähle. Besonderheit hierbei: Trotz unterschiedlicher Bauhöhen wurden die Fundamente so ausgelegt, dass sich die Setzungen nivellieren. Die vertikale Tragstruktur bilden Stahlbetonwände in Kombination mit Sichtbetonstützen. Diese übernehmen nicht nur die Aussteifung gegen horizontale Lasten wie Wind und Erdbeben, sondern auch die Kräfte, die aus dem Canopy resultieren. Vorspannsysteme in Deckenbereichen erlauben Spannweiten bis zu 9 Metern bei wirtschaftlichen Querschnitten.

Präzision bis ins Detail

Der bauliche Aufwand steigt im oberen Geschossbereich: Dort wurden teils bis zu 24 Meter hohe Fertigteilstützen eingesetzt, um eine gleichmäßige Sichtbetonqualität unter der Dachkonstruktion sicherzustellen. Das Gebäude RE erhielt zusätzliche Stahlbau-Aussteifungen großer Dimensionen. Zwischen den Bürogeschossen und der Lobby befindet sich eine monumentale Treppe mit bis zu 17 Metern Spannweite – ebenfalls in Stahlbauweise realisiert.

Die Dachflächen selbst sind eine Ingenieurleistung für sich. Wegen der doppelten Krümmung (Neigungswinkel zwischen 25° und 55°) war eine speziell entwickelte Schalung erforderlich, unterstützt durch eine maßgeschneiderte Betonmischung und eine präzise geplante Betonierfolge.

Forschung und Erprobung

Zur Gewährleistung der strukturellen Sicherheit wurden umfangreiche Tests durchgeführt: vier Windkanalversuche – unter anderem am Politecnico di Milano – mit starren und aeroelastischen Modellen, deren Ergebnisse die hohe Belastbarkeit der Konstruktion auch unter Extrembedingungen bestätigten. Das Canopy wurde zusätzlich mit viskosen Dämpfern ausgestattet, die in vertikale Stahlrohre integriert sind. Diese übernehmen zugleich die Regenwasserableitung und sorgen für ästhetische Kohärenz.

Stimmen aus dem Projekt

„Die größte Herausforderung bestand darin, einer schwebenden Struktur dieser Dimensionen Stabilität und Sicherheit zu verleihen. Wir haben sie durch hochentwickelte Berechnungssysteme, innovative Bautechniken und leistungsstarke Materialien gemeistert“, erklärt Ing. Claudio Bertagnolli, Projektpartner bei HB.

Auch Oswald Holzner, ebenfalls federführend bei HB, betont: „Mit dem Canopy haben wir die traditionellen Grenzen des Ingenieurwesens überschritten und gezeigt, dass Forschung, Technologie und Vision einzigartige Lösungen hervorbringen können.“

Mehr als Form: Funktion und Energie

Die geschwungene Dachkonstruktion ist nicht nur gestalterisch, sondern auch energetisch bedeutsam. Vollständig mit Photovoltaikmodulen belegt, stellt sie einen urbanen Solargenerator dar – mit einer installierten Leistung von rund 2 Megawatt und einer prognostizierten Jahreserzeugung von ca. 1.200 Megawattstunden. In Kombination mit einem thermischen Grundwassersystem und Regenwassernutzung deckt CityWave bis zu 45 % des eigenen Energiebedarfs ab – und spart jährlich rund 500 Tonnen CO₂ ein.

CityWave ist damit nicht nur ein architektonisches Statement, sondern ein Ingenieurbau von internationalem Format – eine Kombination aus ästhetischer Leichtigkeit, funktionaler Komplexität und nachhaltiger Systemintegration. Die Fertigstellung ist für Ende 2026 vorgesehen. Baustellenfotos dokumentieren bereits jetzt eindrucksvoll, wie aus Theorie und Planung sichtbare Realität wird.


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