Wie erfolgreiches Nachverhandeln bei Großprojekten möglich ist
Steigende Einkaufspreise und Löhne, höhere Zinsen und eine schwache Nachfrage – für viele Bauunternehmen rechnen sich auf einmal die vertraglich vereinbarten Konditionen nicht mehr. Doch gegen die drohende Insolvenz können sie etwas tun.
Ist das Ende der Baukrise nahe? Im Juli stieg der Auftragseingang im Bauhauptgewerbe preisbereinigt um 1,9 Prozent zum Vormonat, meldete jüngst das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs der Auftragseingang sogar um 8,7 Prozent. Auch die Umsatzerlöse nahmen im Juli zu: preisbereinigt um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ebenso legte die Zahl der Beschäftigten leicht zu. Nun hofft die Baubranche, dass mit den wieder gesunkenen Leitzinsen und den Milliardenausgaben des Bundes für Infrastruktur die Nachfrage wieder anzieht. Der jüngsten Ifo-Umfrage zufolge hat sich die Stimmung in der Baubranche aufgehellt.
Durchwachsene Baukonjunktur
Doch insgesamt bleibt die Baukonjunktur durchwachsen. So ist die Lage im Straßenbau kritisch und im Wirtschaftsbau auch nur etwas besser. Bei vielen Immobilienvorhaben, insbesondere bei Großprojekten, die sich naturgemäß über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte hinziehen wie der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark, das Grand-Central-Quartier in Düsseldorf oder der Elbtower in Hamburg, kämpfen die Investoren nach wie vor mit höheren Kosten.
Die Baubranche hat schwierige Jahre hinter sich. Steigende Materialpreise infolge des Ukraine-Kriegs sowie höhere Zinsen dämpften die Nachfrage und durchkreuzten die Kalkulation der Investoren. Gleichzeitig legten auch die Lohnkosten zu, dazu kamen veränderte regulatorische Anforderungen an die Immobilien sowie rückläufige Immobilienpreise aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit – all dies machte privaten Bauträgern einen Strich durch die Rechnung. Etliche Immobilieninvestoren wie die österreichische Signa Gruppe von René Benko sind schon pleite. Oder ihnen droht die Insolvenz, wenn es ihnen nicht gelingt, Preise und Konditionen nachzuverhandeln.
Nachverhandeln wird zum Schlüsselfaktor für den Erfolg
Richtig nachzuverhandeln wird somit für viele Großprojekte zum entscheidenden Faktor für eine erfolgreiche Realisierung. Projektverträge werden in der Bauwirtschaft häufig in Form eines EPC-Vertrags abgeschlossen. EPC (Engineering, Procurement, Construction) bedeutet, dass der Auftragnehmer als Generalunternehmer auftritt und die Verantwortung für die Planung, Beschaffung und Errichtung eines Projekts übernimmt. Er liefert dem Auftraggeber ein funktionsfähiges schlüsselfertiges Endprodukt, oft zu einem festen Pauschalpreis, wobei er das Projekt teilweise selbst und teilweise mithilfe von Subunternehmen ausführt.

Doch trotz vermeintlich schwacher Verhandlungsposition wegen der Festpreisvereinbarung und der branchenweit schwachen Nachfrage haben Bauunternehmen Chancen, bestehende Verträge erfolgreich nachzuverhandeln. Dabei sollten sie vom „End to End“-Ansatz ausgehen und die gesamte Prozesskette in den Blick nehmen, vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Vertrieb, um die Stellschrauben für Verhandlungen zu identifizieren und das Projekt an die veränderte Marktlage anzupassen.
Das erfordert erstens die Herstellung von Transparenz, um die Ursachen der Kostenexplosion zu identifizieren, zweitens die Prüfung aller Verträge mit Lieferanten, Subunternehmen und den Kunden auf mögliche Ansprüche und drittens die Ausarbeitung einer ganzheitlichen Verhandlungsstrategie. Das Ziel ist, ungerechtfertigte Ansprüche von Lieferanten und Subunternehmen abzuwehren und eigene, zusätzliche Ansprüche bei den Kunden durchzusetzen.
Spielräume zur Kostensenkung in Einkauf und Produktion
So gilt es zu klären, welche Spielräume zur Kostensenkung in bestehenden Verträgen bestehen, um Projektteile zu streichen oder zu reduzieren, wo und in welchem Umfang sich beispielsweise alternative Materialien zu geringeren Kosten einsetzen lassen und wo noch Effizienzreserven bestehen. Auch sollte man das Gespräch mit den Banken proaktiv suchen und auf eine Anpassung der Kreditkonditionen drängen. Wenn man ein realistisches Konzept hat, dürfte es den Lieferanten, Subunternehmen und Banken einleuchten, dass sie besser fahren, wenn sie bei den Konditionen etwas nachgeben, so dass das Projekt mit Aussicht auf Erfolg weitergeführt werden kann, als dass sie ihre Forderungen gänzlich abschreiben müssen.
Dazu ist es nötig, deren Interessen und Anreizstrukturen zu verstehen. Ist es beispielsweise kein einmaliges Projekt, bei dem man mit diesen Lieferanten, Subunternehmen und Banken zusammenarbeitet, hilft schon oft der Hinweis, dass ein Entgegenkommen in diesem Fall sich positiv auch auf zukünftige Projekte auswirken wird.
Verhandlungshebel gegenüber dem Auftraggeber
Ähnliche Ansatzpunkte bestehen auch im Vertrieb, um positive und negative Anreize in der Verhandlung mit dem Auftraggeber gezielt einzusetzen. Dabei sollte man nicht vor einer Eskalation in der Verhandlung zurückscheuen, sie aber kontrolliert und ohne Emotionen einsetzen. Denn dies dient dazu, die eigene Position zu verdeutlichen und den eigenen Nachforderungen Gewicht zu verschaffen. Ansatzpunkte, um Druck auszuüben, finden sich erfahrungsgemäß immer, etwa weil der Auftraggeber nach Vertragsabschluss noch Änderungen vorgenommen hat beim Projektumfang, bei wichtigen Details der Ausgestaltung oder auch bei technischen Spezifikationen.
Und wenn es sich nicht um ein einmaliges Geschäft handelt, kann auch die Vereinbarung über ein Pain/Gain-Share-Modell eine Lösung sein, bei der sich Auftraggeber und Bauunternehmen das finanzielle Risiko und mögliche Gewinne teilen. Denn die Wirtschaftslage kann sich ja durchaus wieder ändern und die Preise oder Zinsen, die jetzt das Projekt verteuern, können auch wieder fallen. Dieses Modell zur Risiko- und Chancenteilung fördert eine stärkere Zusammenarbeit. Beide Seiten haben dann ein gemeinsames Interesse daran, die Kosten zu kontrollieren und die Leistung zu optimieren.
Das operative Vorgehen in Nachverhandlungen
- Klare Führungsstruktur für die Verhandlung. Die Rolle der Geschäftsleitung beschränkt sich auf die Festlegung von Richtlinien, die operative Verantwortung in der Verhandlung trägt das Verhandlungsteam.
- Effiziente Arbeitsteilung im Verhandlungsteam. Das Team ist crossfunktional zusammengesetzt, die Rollen und Verantwortlichkeiten in der Verhandlung sind klar voneinander abgegrenzt.
- Eindeutige Definition der Verhandlungsziele. Ankerforderungen und Mindestziele werden auf Basis eine detaillierten Verhandlungsstrategie festgelegt.
- Simulation von Szenarien. Das Verhandlungsteam wird anhand eines detaillierten Verhandlungsleitfadens vorbereitet, der mögliche Szenarien und Eskalationsschritte festlegt.
- Ausarbeitung einer kohärenten Storyline. Dies ist nötig, um die interne und externe Kommunikation zu steuern und die Gegenpartei zu beeinflussen.
- Mentale Einstellung. Das Verhandlungsteam wird durch Rollenspiele auf kritische Situationen vorbereitet, um seine Stressresilienz zu erhöhen und im Fall von kontrollierten Eskalationsschritten ohne Angst vor einer Verärgerung des Kunden zu handeln.
- Transparenz. Wichtig ist eine offene, umfassende Kommunikation mit allen Projektbeteiligten (Auftraggeber, Subunternehmer, Lieferanten, Mitarbeiter) über die Situation und die geplanten Maßnahmen.
Erfolgreiche Nachverhandlungen festigen die Partnerschaft
Fazit: Trotz des vereinbarten Festpreises ist es fast immer möglich, Nachforderungen gegenüber Lieferanten, Subunternehmen und Auftraggebern durchsetzen. Wenn es auf diese Weise gelingt, das Bauprojekt trotz aller Schwierigkeiten zu realisieren, stärkt das die Partnerschaft zwischen dem Bauunternehmen, seinen Lieferanten, Subunternehmen und Kunden.

Zur Autorin: Katharina Weber ist Gründungsmitglied und CEO der Negotiation Advisory Group (NAG). Sie hat Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Wettbewerbsökonomie und Spieltheorie studiert und verfügt über langjährige Beratungserfahrung in großvolumigen und hochkomplexen Verhandlungen.

