WDVS-Systeme sind kein Sondermüll
In jüngster Zeit ist immer mal wieder davon zu lesen, dass Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) schon recht bald als Sondermüll aufwändig entsorgt werden müssen. Oft ist von 30 Jahren die Rede, nach denen die Systeme von der Wand müssten – obwohl dieser Fall nach mehr als rund 50 Jahren Fassaden-Dämmens weiterhin die Ausnahme ist. Was wir also dringend brauchen, ist eine sachlich geführte Diskussion zum Thema »Wiederverwertbarkeit von Dämmplatten«. Am besten spricht man gleich über die »Ganzheitliche Modernisierung«.
Und zur Ganzheitlichkeit gehört dann selbstverständlich auch die Betrachtung der Fenster und der Haustechnik – inklusive genauem Blick auf die Ökobilanz der verwendeten Baustoffe, verbunden mit der Frage, was damit passiert, wenn das Haus irgendwann einmal abgerissen wird. Stichwort »Müll«, gerne auch »Sondermüll mit Fragezeichen«.
Schnell führen Dämmkritiker das Argument der »schwierigen Recyclingfähigkeit« ins Feld und zeichnen ein Bild von gigantischen Müllbergen aus Polystyrolplatten. Ich bin ein großer Freund der Realität: Ich weiß nicht, wie es in anderen Dörfern oder Städten aussieht. Hier bei uns Zuhause ist es so, dass nicht jeden Tag ein Haus abgerissen wird. Vielmehr stehen fast alle Gebäude seit zig Jahren und werden wohl auch noch einige Zeit stehen bleiben. Ich habe auch noch nirgends beobachten können, dass eine alte Wärmedämmung irgendwo runtergerissen wird. Eher wird eine alte, dünne Dämmung dicker gemacht (aufgedoppelt). Das ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll – und die alte Dämmung bleibt Dämmung und wird nicht Müll, geschweige Sondermüll.
Wärmedämmung ist Sondermüll? Ich würde behaupten wollen, dass diese Art des Mülls verglichen mit anderen Müll-Quellen von der Gummibärchen-Tüte bis zur Flachbildschirmverpackung so gut wie gar nicht vorkommt.
Seit 50 Jahren gibt es Wärmedämmverbundsysteme, die noch viele Jahre halten dürften. Ich bin sicher, dass meine nagelneue Dämmung 100 Jahre lang ihre Dienste leisten wird. Und sollte die Oberfläche vielleicht in 70 Jahren nicht mehr ganz so jugendlich daherkommen, gibt es bestimmt einen 1-A-Deck-Schutzputz, damit die Dämmplatten das Haus weiter mollig warm halten. Vielleicht lesen ja meine Ururenkel diesen Beitrag … sie werden es dann genau wissen.
Insgesamt ist diese Sondermüll-Angst meines Erachtens unbegründet: Erstens forscht das Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Holzkirchen nach einer wirtschaftlichen Methode der Wiederverwertung, die aktuell – zweitens – noch nicht vorhanden ist weil – Achtung – viel zuwenig »WDVS-Müll« anfällt. Zu Deutsch: wo kein Problem ist, da gibt es auch noch keine Lösung.
Noch ein Gedanke: Wenn ein Öltanker im Ozean auseinander kracht, verseucht er für Jahrzehnte ganze Küstengebiete. Hätten wir unsere Häuser alle ordentlich gedämmt, würde die Anzahl der Öltanker auf den Weltmeeren zurückgehen. Die Gefahr von Öl-Unfällen ginge dann automatisch auch zurück. Der Sorge, in 50 bis 100 Jahren Polystyrolmüll gezielt entsorgen (und wieder verwerten) zu müssen, steht aktuell das Problem der realen Gefahr von Tankerunglücken gegenüber.
Noch eine Rechnung: Würde man ein Wärmedämmverbundsystem nach nur 30 Jahren bereits entsorgen, dann entspricht das einer monatlichen Menge von etwa 300 Gramm im Gelben Sack. Stellen Sie sich nun bitte diese 300 Gramm im Gelben Sack vor und machen Sie sich klar, dass dieser Müll immerhin 30 Jahre lang Energie gespart hat, während anderer Gelber-Sack-Müll nur für ein paar Tage als Verpackung diente.
Bleibt immer noch die Frage, ob das Öl-Produkt PS-Hartschaum nach seiner Nutz-Zeit tatsächlich Sondermüll ist. Hierzu ein letzter Gedanke: Dies hängt sicherlich auch von den weiteren Systemkomponenten wie etwa dem Kleber ab. Ich bin gespannt auf die Forschungsergebnisse des Fraunhofer-Instituts – die werde ich hoffentlich noch erleben. Müll oder gar Sondermüll-Berge aus Fassadendämmplatten sicher nicht.
Dipl.-Ing. Ronny Meyer ist ein auf Energiefragen spezialisierter Bauingenieur, Buchautor und TV-Moderator. Seit 1996 hält er Bauphysik-Profischulungen, seit 2007 ist er mit seiner Energiespar-Show unterwegs und motiviert zum Energiesparen.