Überraschende Forschungsergebnisse zu Bioziden im Fassadenputz
Als vor einiger Zeit in Schweizer Gewässern bestimmte Substanzen festgestellt wurden, war die Überraschung groß. Es handelte sich um Biozide, die in der Landwirtschaft nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Woher konnten sie kommen? Und wie wirken sie sich aus? Ein Forschungsprojekt der Hochschule Coburg liefert neue Erkenntnisse über Biozide in Baustoffen. Kommende Woche werden sie in Augsburg auf einer Fachtagung präsentiert.
Etwa ein Viertel der hergestellten Biozide wird im Bausektor verwendet. In Putz und Fassadenfarben verhindern sie, dass zum Beispiel Algen und Bakterien als grün-braune Biofilme an der Hauswand wuchern. Das ist nicht nur ein optisches Problem; Pilze beispielsweise können die Fassade tatsächlich beschädigen. Dagegen wirken Chemikalien in Baustoffen langfristig. Regen wäscht sie im Lauf der Zeit aus – und sie landen in Boden und Gewässern. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich ein Forschungskonsortium, an dem die Hochschule Coburg im Rahmen des Projekts BayÖkotox unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Kalkhof arbeitet.
Wie Biozide auf Wasserlebewesen wirken, bezeichnen Forschende als „aquatische Toxizität“. Sie ist bereits gut untersucht. Aber zu den Effekten auf die Mikroorganismen im Boden, der so genannten „terrestrischen Toxizität“, gibt es bisher kaum Daten. „Vor zwei Jahren haben wir dazu einen großen Freilandversuch auf dem Parkplatz in der Sonneberger Straße aufgebaut“, erzählt Fabienne Reiß. Sie kommt aus den nahegelegenen Haßbergen, hat in Coburg bereits ihren Bachelor und Master in Bioanalytik absolviert und promoviert im Projekt BayÖkotox bei Prof. Dr. Matthias Noll. Ihre Kollegin Nadine Kiefer kommt aus der Nähe des baden-württembergischen Reutlingen, ist Chemikerin und promoviert bei Prof. Dr. Stefan Kalkhof. Die Bioanalytikerin und die Chemikerin ergänzen sich, sind dankbar für die Möglichkeit, sich miteinander wissenschaftlich auszutauschen – und menschlich aufzubauen, wenn mal was nicht läuft. „Eine Promotion hat Höhen und Tiefen“, sagt Reiß. Kiefer berichtet: „Die Betreuung durch die Profs ist an einer Hochschule sehr eng, das ist super. Und die Tandem-Promotion ist wirklich cool.“
Sobald es anfing zu regnen, wusste das Tandem: Es steht Arbeit an. Schon wieder. „Wir haben den Freilandversuch 2021 gemacht. Dieses Jahr war sehr, sehr … “ Reiß schaut gespielt-gequält, dann lacht sie ironisch: „feuchtfröhlich! Wir sind fast in Baustoff-Eluaten ertrunken, wussten nicht mehr, wo wir sie lagern können, geschweige denn, wie wir sie analysieren, so lange alles noch stabil ist.“ Die Eluate, eine Flüssigkeit, die für weitere Tests aufbereitet und verdünnt ist, gewann Kiefer aus dem Regenwasser, das von der Test-Fassade lief und in speziellen Behältern aufgefangen wurde. Die Test-Fassade bestand aus L-Steinen aus Beton, die mit verschiedenen Prüfmustern verputzt worden waren: mal nur im Unterputz mit Bioziden, mal auch in Oberputz und Fassadenfarbe. Außer im Freilandversuch wurde das Auswaschungsverhalten auch in einer „Bewitterungskammer“ im Labor ermittelt. Insgesamt 350 Proben haben die Wissenschaftlerinnen analysiert.
Chemikerin Kiefer bestimmte die Menge und Art der Biozide, die im Boden gelandet ist und verschiedene Abbauprodukte. Dann ging es darum, wie sie sich auf das Mikrobiom, die Gemeinschaft der Lebewesen im Boden, auswirken. Dafür wurde untersucht, wie so genannte Standardorganismen reagieren: Algen, Leuchtbakterien, Sedimentwürmer zum Beispiel. Bioanalytikerin Reiß entwickelte eine Methode, um die Mikroorganismen zu markieren. „Wir geben dem Boden den Stoff Bromdesoxyuridin zu. Er ähnelt einem DNA-Baustein und deshalb verwenden ihn Bakterien und Pilze während der Zellteilung als Baustein für die neu gebildete DNA.“ Auf diese Weise konnte sie nachvollziehen, welche Zellteilung betreiben, aktiv sind, welchen es gut geht. Kiefer nickt: „Ich hatte nicht erwartet, dass die Organismen so sensibel reagieren und wir signifikante Effekte feststellen. So viel kommt aus den Fassaden ja gar nicht raus – und wir hatten den Fassadenablauf verdünnt.“
Um für den europäischen Markt zugelassen zu werden, muss bei einem Biozid nachgewiesen werden, dass es nicht besonders schädlich ist. Wie sich durch die Kombination verschiedener Biozide („Co-Toxizität“) die Wirkung möglicherweise verändert, wird mit verschiedenen Modellen simuliert. Kiefer glich die Coburger Ergebnisse mit den Modellierungen ab, die für die Zulassung solcher Stoffe eingesetzt werden. Sie entwickelte ein Setup zur experimentellen Validierung, überprüfte spezifische Einflussparameter, kombinierte Modelle und kam zu einem eindeutigen Schluss: „Aktuelle Abschätzungsverfahren spiegeln die realen Effekte nicht wider. Für eine fundierte Gefährdungsbeurteilung für den terrestrischen Lebensraum braucht es weitere Studien.“
Grundsätzlich liefern Daten aus der ökotoxikologischen Forschung Entscheidungsgrundlagen für die Frage, wo eine stärkere Regulierung im Umgang mit solchen Substanzen nötig ist. „Es gibt biozidfreie Alternativen, rein mineralische Putze zum Beispiel“, sagt Kiefer. Reiß zuckt die Schultern: „So wie früher.“ Problematisch sei auch die derzeitige Bauweise: „Jeder möchte diese eckigen Häuser, clean und gerade im Bezug auf die Biozide ist das der worst case. Man kann sich nicht vorstellen, wie sehr ein Dachüberstand die Auswaschung reduziert!“ Kiefer ergänzt, dass auch begrünte Fassaden nicht nur für die Klimabilanz, sondern auch für die Fassade selbst positiv sind. „Aber solche Alternativen sind teurer und den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern ist gar nicht bewusst, dass biozide Verfahren eingesetzt werden.“
Forschungsstand wird auf Fachtagung in Augsburg präsentiert
Das Projekt BayÖkotox wird vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gefördert. Das Landesamt für Umwelt (LfU) sammelt und koordiniert die Daten und Ergebnisse von Forschungsgruppen, die sich in verschiedenen Bereichen damit beschäftigen, wie sich Stoffe auf die Umwelt auswirken. Die beiden Coburger Promotionen werden in Kooperation mit den Universitäten Leipzig und Bayreuth durchgeführt. In einem weiteren Projekt befassen sich Coburger Wissenschaftler:innen ebenfalls mit dem Thema: „OMiBiB“ steht für „Optimierung und Minimierung des Biozideinsatzes in Baustoffen“ und wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert. Die Erkenntnisse beider Projekte werden bei der Biozid-Fachtagung am Donnerstag, 29., und Freitag, 30. Juni in Augsburg vorgestellt. Die Tagung wurde vom Bayerischen Landesamt für Umwelt und dem Institut für Bioanalytik der Hochschule Coburg organisiert. Unter dem Motto „Biozide in Baumaterialien – von wissenschaftlicher Erkenntnis zu praktischen Handlungsmöglichkeiten“ geben nationale und internationale Expert:innen einen Überblick über die Themenschwerpunkte Einsatz, Freisetzung, Bewertung und Vermeidung von Bioziden in Baukomponenten.
Autorin: Natalie Schalk