Insolvenz am Bau – Besonnenheit ist gefragt
Im letzten Jahr hat die Zahl der zahlungsunfähigen Unternehmen der Baubranche im Vergleich zu den Vorjahren leicht zugenommen. Die Insolvenz eines Baubeteiligten hat gravierende Folgen für die weiteren Partner. „Kaum ein anderes Ereignis gefährdet Dauer, Kosten und Qualität eines Bauvorhabens so nachhaltig, wie die Insolvenz eines beteiligten Unternehmens“, sagt Kathrin Heerdt, Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht (ARGE Baurecht).
Das Fatale: keiner der Baubeteiligten ist vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch seines Vertragspartners gefeit – die Insolvenz kann Investoren, Bauträger, Generalunternehmer, Gewerke-Unternehmer, Planer und Architekten ebenso treffen wie den privaten Bauherren. Für alle gilt es, zeitliche, qualitative und finanzielle Verluste möglichst gering zu halten. „Kann ein Baubeteiligter Leistungen oder Zahlungen nicht mehr erbringen, wollen Vertragspartner schnell den ‚Rettungsanker‘ werfen und Verträge kündigen“, so Heerdt. Die Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht rät jedoch zu mehr Besonnenheit, „denn eine überstürzte Kündigung birgt das Risiko, den zu erwartenden Schaden zu vergrößern.“
Grundsätzlich gilt: Kann ein Vertragspartner vereinbarte Leistungen nicht mehr erbringen, ist diesem in der Regel die Möglichkeit zu gewähren, die Störung binnen einer angemessenen Frist zu beheben. Erst wenn dem Betroffenen danach ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zuzumuten ist, billigt das Gesetz ihm ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht zu. Auch wenn ein Partner vereinbarte Leistungen nicht (mehr) erbringen kann, ändert sich daran nichts.
Insolvenz verändert Rechtsgrundlage
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Vertragspartners verändert die Rechtslage grundlegend. Anstelle des Vertragspartners oder dessen vertretungsberechtigten Organen ist nunmehr der Insolvenzverwalter (allein) vertretungs- und verfügungsberechtigt. Die Erklärungen der bisherigen Entscheidungsträger sind rechtlich nicht mehr bindend. Vielmehr ist es die Aufgabe des Insolvenzverwalters, das Vermögen zu verwerten und aus dem Erlös schließlich am Verfahrensende die berechtigten Forderungen der Gläubiger in Höhe der auf ihre Forderung jeweils entfallenden Quote aus dem Verwertungserlös zu befriedigen. „Zu diesem Zweck ordnet die Insolvenzordnung keineswegs die Beendigung bestehender Verträge an“, so Heerdt.
Es sei vielmehr nach dem jeweiligen Abwicklungsstand zu unterscheiden. Hat der Vertragspartner seine vertraglichen Pflichten gegenüber dem insolventen Unternehmen vollständig erfüllt, muss dieses jedoch noch Zahlungen oder Leistungen erbringen, kann der Vertragspartner diese anmelden, um am Verfahrensende auf berechtigte Forderungen eine Quotenzahlung zu erhalten. Hat das insolvente Unternehmen, die so genannte Insolvenzschuldnerin, die versprochenen Pflichten erfüllt und stehen noch Leistungspflichten des Vertragspartners aus, so sind diese zugunsten der Insolvenzmasse zu erfüllen. Zahlungen sind zum Vorteil des Insolvenzverwalters zu leisten.
Vertrag im Schwebezustand
Stehen auf Seiten beider Vertragspartner noch Leistungspflichten aus (etwa Zahlungen einerseits und Bauleistungen andererseits), so gewährt die Insolvenzordnung dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht (§ 103 InsO). Er kann entscheiden, ob er mit Mitteln der Insolvenzmasse den Vertrag erfüllt und den Erlös zur Insolvenzmasse einfordert oder die Erfüllung ablehnt. Bis dahin ist der Vertrag nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in einer Art „Schwebezustand“: Keine Partei kann von der jeweils anderen die Erfüllung des Vertrages verlangen. Der Vertragspartner kann aber den Insolvenzverwalter auffordern, sein Wahlrecht binnen angemessener Frist auszuüben. Bei besonders bedeutsamer Rechtshandlung kann diese bis zur nächsten Gläubigerversammlung zu gewähren sein. In jedem Fall legt der Verwalter fest, ob der Vertrag wie vereinbart weiter abzuwickeln ist oder nicht erfüllte Ansprüche des Vertragspartners anzumelden sind. Erklärt sich der Insolvenzverwalter nicht, kann er die Erfüllung des Vertrages nicht mehr verlangen.
„Die Konsequenz aus dieser rechtssystematischen Änderung wird in der Praxis häufig übersehen“, betont Heerdt. Denn die Insolvenzschuldnerin kann mit den versprochenen Leistungen nicht in Verzug geraten, solange der Insolvenzverwalter nicht entschieden hat, ob und wie der Vertrag zu erfüllen ist. „Einer Kündigung wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten fehlt dann der berechtigende Grund“, warnt Heerdt. Kündigt ein Vertragspartner trotzdem, besteht die Gefahr, dass er damit seinerseits die Vertragspflichten verletzt und sich schadensersatzpflichtig macht.
Ob ein insolvenzbedingtes Recht des Auftraggebers zur Kündigung aus wichtigem Grund bei Einbeziehung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/B) besteht, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes hierzu steht bislang noch aus. „Sowohl hinsichtlich dieser Rechtsfrage als auch in Bezug auf die weiteren Besonderheiten der Vertragsabwicklung empfiehlt sich bei Insolvenz eine sorgfältige Prüfung der Handlungsoptionen vor dem überstürzten Lossagen vom Vertrag“ unterstreicht Heerdt.
ARGE Baurecht, www.arge-baurecht.com